Am »Vatertag« 2010 überraschte die Tochter von Heinz-Dieter Nehls ihren Vater mit einem besonderen Geschenk: In einem Erinnerungsalbum sollte er verschiedene Fragen zu seinem Leben beantworten und damit die Familiengeschichte an seine Kinder weitergeben. Doch schon die erste Frage konnte er nicht beantworten: »Wann und wo wurdest du geboren?« Heinz-Dieter wusste zwar seit seinem 18. Lebensjahr von seiner Adoption und dass sein Geburtsname Volgmann war. Er sei vor einer Kirche gefunden worden. Seine Dokumente enthielten aber unterschiedliche Geburtsdaten und -orte. Da er seine Adoptiveltern sehr liebte, beschloss er, nicht nach seinen leiblichen Eltern zu suchen. Als er sich als junger Mann, er lebte in der DDR, für eine Ausbildung zum Brandursachenermittler bewarb, wurde er abgelehnt, weil seine leibliche Mutter in der Bundesrepublik lebte. Seine Herkunft spielte für ihn sonst aber lange keine Rolle. Erst der »Vatertag« 2010 änderte dies. Sein Schwiegersohn gab den Suchbegriff »Heinz-Dieter Volgmann« bei einer Internetsuche ein. Unter den Ergebnissen war eine Suchanzeige: Heinz-Dieters leibliche Mutter Herta Wiersma suchte nach ihm. Zwei Wochen später trafen sie sich zum ersten Mal nach mehr als 60 Jahren wieder.
Fast sein ganzes Arbeitsleben war Heinz-Dieter in einem Kabelwerk tätig. Dort war er unter anderem für den Brandschutz zuständig. In seiner Freizeit engagierte er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Foto: unbekannt. Privatbesitz Nehls
Herta Wiersma wuchs als Tochter eines Kommunisten und NS-Gegners auf, der 1938 verhaftet und später im KZ Mauthausen ermordet wurde. Mit ihrer Mutter wurde sie zur Arbeit auf dem Bauernhof einer nationalsozialistischen Familie dienstverpflichtet. Dort verliebten sich Herta und der polnische Zwangsarbeiter Henryk Piechal. Als Herta schwanger wurde, nahmen sie evangelische Ordensschwestern auf und ermöglichten ihr eine heimliche Geburt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges waren Herta und Henryk gemeinsam auf dem Weg nach Polen. Unterwegs wurde Herta von sowjetischen Soldaten als Deutsche erkannt und vergewaltigt. Sie kehrte um und Henryk ging allein nach Warschau. Noch 1945 verließ Herta die sowjetische Besatzungszone mit dem Ziel Bergisches Land bei Köln. Sie wollte Heinz-Dieter nachholen, doch es war nicht möglich, ihr Kontakt zu seinen späteren Adoptiveltern brach ab.
Heinz-Dieters leiblicher Vater gründete nach dem Krieg in Polen eine Familie. Mit Herta Wiersma hatte er bis zu seinem Tod Ende der 1970er-Jahre immer wieder Kontakt. So schickte er ihr auch dieses Foto von sich.
Foto: unbekannt. Privatbesitz Nehls
In der Landwirtschaft wurden während des Zweiten Weltkrieges zuerst in großer Zahl Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Bei Kriegsende verrichteten sie dort etwa die Hälfte der Arbeit. Anders als beispielswiese in Industriebetrieben ließ sich in der Landwirtschaft der Kontakt der ausländischen Arbeitskräfte untereinander und mit Arbeitgeber*innen und deutschen Mitarbeitenden nicht verhindern. Vor allem die zivilen Zwangsarbeiter*innen waren meistens direkt auf den Höfen untergebracht, was eine lückenlose Überwachung durch Behörden unmöglich machte. Die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen waren einerseits oftmals der Willkür ihrer Arbeitgeber*innen ausgesetzt. Andererseits boten sich aber auch gewisse Freiheiten wie freundschaftliche Kontakte, aus denen sich verbotene Beziehungen entwickeln konnten.
»Im Herzen muss sie mich immer gesucht haben.«
Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratete Herta Wiersma einen Mann, der ihr verbot, nach Heinz-Dieter zu suchen. Erst nach der Scheidung 1980 begann sie mit der Recherche. Dabei unterstützten sie ihre vier jüngeren Söhne, Heinz-Dieters Halbbrüder, und vor allem ein Freund der Familie. Er schrieb für Herta mehr als dreißig Archive, Standesämter und Suchdienste an. Heinz-Dieter geht heute davon aus, dass die Behörden in der DDR damals ein Wiedersehen verhindert haben. 2007 wurde Herta von einem Journalisten für einen Fernsehbeitrag über die Geschichte ihres Vaters als Opfer des Nationalsozialismus interviewt. Beiläufig erzählte sie auch von der Suche nach ihrem Sohn. Der Journalist versprach Herta, ihr zu helfen, und veröffentlichte ihre Suchanzeige im Internet. Drei Jahre später fand Herta auf diesem Weg ihren Sohn wieder.
Für Herta Wiersma, die bei der Suche auch ihren Geburtsnamen Volgmann verwendete, waren Nachforschungen in der DDR nur schwer möglich. Der Westberliner Radiosender RIAS jedoch konnte in großen Teilen der DDR empfangen werden.
Privatbesitz Nehls
Am »Vatertag« 2010 überraschte die Tochter von Heinz-Dieter Nehls ihren Vater mit einem besonderen Geschenk: In einem Erinnerungsalbum sollte er verschiedene Fragen zu seinem Leben beantworten und damit die Familiengeschichte an seine Kinder weitergeben. Doch schon die erste Frage konnte er nicht beantworten: »Wann und wo wurdest du geboren?« Heinz-Dieter wusste zwar seit seinem 18. Lebensjahr von seiner Adoption und dass sein Geburtsname Volgmann war. Er sei vor einer Kirche gefunden worden. Seine Dokumente enthielten aber unterschiedliche Geburtsdaten und -orte. Da er seine Adoptiveltern sehr liebte, beschloss er, nicht nach seinen leiblichen Eltern zu suchen. Als er sich als junger Mann, er lebte in der DDR, für eine Ausbildung zum Brandursachenermittler bewarb, wurde er abgelehnt, weil seine leibliche Mutter in der Bundesrepublik lebte. Seine Herkunft spielte für ihn sonst aber lange keine Rolle. Erst der »Vatertag« 2010 änderte dies. Sein Schwiegersohn gab den Suchbegriff »Heinz-Dieter Volgmann« bei einer Internetsuche ein. Unter den Ergebnissen war eine Suchanzeige: Heinz-Dieters leibliche Mutter Herta Wiersma suchte nach ihm. Zwei Wochen später trafen sie sich zum ersten Mal nach mehr als 60 Jahren wieder.
Fast sein ganzes Arbeitsleben war Heinz-Dieter in einem Kabelwerk tätig. Dort war er unter anderem für den Brandschutz zuständig. In seiner Freizeit engagierte er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Foto: unbekannt. Privatbesitz Nehls
Herta Wiersma wuchs als Tochter eines Kommunisten und NS-Gegners auf, der 1938 verhaftet und später im KZ Mauthausen ermordet wurde. Mit ihrer Mutter wurde sie zur Arbeit auf dem Bauernhof einer nationalsozialistischen Familie dienstverpflichtet. Dort verliebten sich Herta und der polnische Zwangsarbeiter Henryk Piechal. Als Herta schwanger wurde, nahmen sie evangelische Ordensschwestern auf und ermöglichten ihr eine heimliche Geburt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges waren Herta und Henryk gemeinsam auf dem Weg nach Polen. Unterwegs wurde Herta von sowjetischen Soldaten als Deutsche erkannt und vergewaltigt. Sie kehrte um und Henryk ging allein nach Warschau. Noch 1945 verließ Herta die sowjetische Besatzungszone mit dem Ziel Bergisches Land bei Köln. Sie wollte Heinz-Dieter nachholen, doch es war nicht möglich, ihr Kontakt zu seinen späteren Adoptiveltern brach ab.
Heinz-Dieters leiblicher Vater gründete nach dem Krieg in Polen eine Familie. Mit Herta Wiersma hatte er bis zu seinem Tod Ende der 1970er-Jahre immer wieder Kontakt. So schickte er ihr auch dieses Foto von sich.
Foto: unbekannt. Privatbesitz Nehls
In der Landwirtschaft wurden während des Zweiten Weltkrieges zuerst in großer Zahl Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Bei Kriegsende verrichteten sie dort etwa die Hälfte der Arbeit. Anders als beispielswiese in Industriebetrieben ließ sich in der Landwirtschaft der Kontakt der ausländischen Arbeitskräfte untereinander und mit Arbeitgeber*innen und deutschen Mitarbeitenden nicht verhindern. Vor allem die zivilen Zwangsarbeiter*innen waren meistens direkt auf den Höfen untergebracht, was eine lückenlose Überwachung durch Behörden unmöglich machte. Die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen waren einerseits oftmals der Willkür ihrer Arbeitgeber*innen ausgesetzt. Andererseits boten sich aber auch gewisse Freiheiten wie freundschaftliche Kontakte, aus denen sich verbotene Beziehungen entwickeln konnten.
»Im Herzen muss sie mich immer gesucht haben.«
Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratete Herta Wiersma einen Mann, der ihr verbot, nach Heinz-Dieter zu suchen. Erst nach der Scheidung 1980 begann sie mit der Recherche. Dabei unterstützten sie ihre vier jüngeren Söhne, Heinz-Dieters Halbbrüder, und vor allem ein Freund der Familie. Er schrieb für Herta mehr als dreißig Archive, Standesämter und Suchdienste an. Heinz-Dieter geht heute davon aus, dass die Behörden in der DDR damals ein Wiedersehen verhindert haben. 2007 wurde Herta von einem Journalisten für einen Fernsehbeitrag über die Geschichte ihres Vaters als Opfer des Nationalsozialismus interviewt. Beiläufig erzählte sie auch von der Suche nach ihrem Sohn. Der Journalist versprach Herta, ihr zu helfen, und veröffentlichte ihre Suchanzeige im Internet. Drei Jahre später fand Herta auf diesem Weg ihren Sohn wieder.
Für Herta Wiersma, die bei der Suche auch ihren Geburtsnamen Volgmann verwendete, waren Nachforschungen in der DDR nur schwer möglich. Der Westberliner Radiosender RIAS jedoch konnte in großen Teilen der DDR empfangen werden.
Privatbesitz Nehls
trotzdem da! – Kinder aus verbotenen Beziehungen zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeiter*innen ist ein Projekt der Gedenkstätte Lager Sandbostel. Es wird in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.
Kooperationspartner*innen sind die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, das Projekt Multi-peRSPEKTif (Denkort Bunker Valentin / Landeszentrale für politische Bildung Bremen) und das Kompetenzzentrum für Lehrer(innen)fortbildung Bad Bederkesa.
trotzdem da! – Kinder aus verbotenen Beziehungen zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeiter*innen ist ein Projekt der Gedenkstätte Lager Sandbostel. Es wird in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.
Kooperationspartner*innen sind die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, das Projekt Multi-peRSPEKTif (Denkort Bunker Valentin / Landeszentrale für politische Bildung Bremen) und das Kompetenzzentrum für Lehrer(innen)fortbildung Bad Bederkesa.